In THE ADVENTURER spielt Charlie Chaplin einen Strafgefangenen, der erfolgreich aus dem Gefängnis ausbricht. Die Flucht führt ihn am Meer entlang, wo Charlie eine wohlhabende junge Frau und ihre Mutter vor dem Ertrinken rettet. Durch sie gelingt es Charlie, sich unter der gesellschaftlichen Oberschicht zu verstecken – sehr zum Ärger des starken bärtigen Freunds der jungen Frau, der sich Charlies Flirts mit seiner Freundin nicht gefallen lässt. Durch eine Fahndungsanzeige wird Charlie enttarnt. Nun muss er versuchen, dem jähzornigen Freund und den Polizeibeamten zu entkommen.
THE ADVENTURER, der im November 1921 unter dem Titel CHAPLIN DER STRÄFLING in Deutschland herauskam, war der letzte von zwölf Kurzfilm-Komödien, die Charlie Chaplin 1916 und 1917 für die Firma Mutual hergestellt hatte. Chaplin bezeichnete diese Zeit als seine »glücklichsten Jahre« und die Filme, die er in diesen beiden Jahren realisierte, zählen zu seinen besten Arbeiten. Für die neue Restaurierung von THE ADVENTURER kombinierte das New Yorker Museum of Modern Art sieben unterschiedliche Materialien, um die vollständigste und qualitativ bestmögliche Fassung zu erzeugen.
Von Chaplins Produktionen für Mutual besitzt THE ADVENTURER die meisten Slapstick-Szenen und das größte Tempo. Doch der Film unterscheidet sich von dem Chaos in den frühen Keystone-Comedies durch eine genaue Konstruktion der Geschichte, die präzise Zeichnung der Personen und die Eleganz von Chaplins Bewegungen. Seine Flucht vor den Gefängniswärtern unterscheidet sich von üblichen Verfolgungsjagden durch ihre Originalität (z.B. Chaplins improvisierte Pose als Stehlampe) und Chaplins tänzerische Qualitäten, denen er später, unter dem Einfluß vieler wohlmeinender Kritiker, dann viel zu viel Gewicht in seinen Filmen einräumen sollte.
Glenn Mitchell: The Chaplin Encyclopedia. London: B.T. Batsford Ltd., 1997, zit. nach Programmheft 16. Bonner Sommerkino – Internationale Stummfilmtage, 2000, S. 30.
In THE ADVENTURER glaubt Charlie, er hätte sich die ihn verfolgenden Wärter vom Hals geschafft, indem er sie von der Spitze eines Steilhanges mit Steinen bombardierte. Die Wärterliegen alle mehr oder weniger bewußtlos unten am Boden. Doch statt die Gelegenheit zu nutzen und einen Tag Abstand zwischen sich und die Verfolger zu legen, amüsiert er sich damit, mehr Steine nach ihnen zu werfen, Kieselsteine diesmal, um seine Operation noch etwas zu verfeinern. Während er das tut, merkt er nicht, daß ein weiterer Wärter hinter ihn getreten ist und ihn beobachtet. Als er wieder nach einem Stein greift, berührt er mit der Hand den Schuh des Wärters. Seine Reaktion ist einfach wunderbar. Statt zu versuchen wegzulaufen, was sowieso zwecklos gewesen wäre, oder sich in Erkenntnis seiner verzweifelten Lage dem Beamten zu ergeben, bedeckt Charlie den Unglücksschuh mit einer Handvoll Sand.
Sie lachen, genau wie Ihr Nebenmann. Zuerst klingt alles Lachen gleich. Aber ich habe bei diesem Gag in wohl zwanzig verschiedenen Filmtheatern zugehört. Wenn das Publikum, oder wenigstens ein Teil davon, aus Intellektuellen bestand, aus Studenten zum Beispiel, folgte binnen kurzem eine zweite, andersartige Welle des Gelächters. In diesem Augenblick war der Saal nicht mehr von dem ursprünglichen Gelächter erfüllt, sondern von einer ganzen Reihe Echos, einem Grundsee des Gelächters, reflektiert von den Gedanken der Zuschauer wie vom unsichtbaren Wall einer tieferliegenden Wasserschicht. Diese Echowirkungen sind nicht immer hörbar; in erster Linie hängen sie von den Zuschauern ab, vor allem aber liegt es daran, daß Charlies Gags von so kurzer Dauer sind, daß man sie gerade eben »mitbekommen« kann, und ihnen keine tote Pause folgt, die einem Zeit zum Nachdenken läßt. Charlie hat seine Komik sehr verfeinert und lehnt es ab, dem Publikum in irgend einer Weise willfäh[r]ig zu sein. Der Zwang zur Einfachheit und Wirksamkeit erfordert von dem Gag bei aller Unvollkommenheit die größte Verständlichkeit.
Charlies Gags haben eine Art endgültiger Vollkommenheit erreicht, die höchste Stufe ihres Stils. Chaplin brauchte das Medium des Films, um die Komik ganz von den räumlichen und zeitlichen Beschränkungen zu befreien, die von Bühne und Zirkusarena diktiert werden.
André Bazin: Qu’est-ce que le cinéma? Paris: Editions du Cerf, 1958, zit. nach Programmheft 16. Bonner Sommerkino –Internationale Stummfilmtage, 2000, S. 30.
Restauriert durch das Museum of Modern Art, New York, mit finanzieller Unterstützung vom Celeste Bartos Fund for Film Preservation.